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In einer Kultur, die das ,Ich zuerst' zum Prinzip erhoben hat, ist Mutterschaft eine Herausforderung.

Elisabeth Badinter, „Der Konflikt: Die Frau und die Mutter“

Mit weit aufgerissenen Augen liege ich wach, zwischen meinem Freund, der laut und gleichmäßig neben mir atmet, und meinem kleinen Sohn. Stundenlang. Meine Nächte sind grellweiß, Zwangsgespenster.

Ulrike Schrimpf freut sich sehr auf die Geburt ihres zweiten Sohnes. Doch nach der Entbindung wird sie bald von Angst, Ruhelosigkeit und Verzweiflung bestimmt und kann, trotz der Liebe zu ihrem Kind, kaum noch Glück empfinden. Die Diagnose „postpartale Depression“ ist der erste Schritt auf einem langen Weg zurück ins Leben, für sie und ihre Familie. Heute hat Ulrike Schrimpf ihre Depression überwunden. Mit ihrem Buch will sie betroffene Frauen, aber auch deren Familien und Freunde, informieren, trösten und ihnen Mut zusprechen.

Erzählendes Fachbuch
Leseprobe Alles Liebe

Leseprobe

Mein Sohn wird ins Schwesternzimmer gebracht, damit ich mich ausruhen kann. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, soll ich es tagsüber tun. Eigentlich eine himmlische Idee! Nur dass das Bett für mich ein Ort des Schreckens geworden ist. Ich werfe mich ruhelos hin und her. Manchmal döse ich für ein paar Sekunden weg, dann wache ich wieder von meinem eigenen Schlucken auf. ich schwitze, alle Decken sind durchnässt. Meine Gedanken kreisen immer um die gleichen Themen, schneller, immer schneller, erbarmungslos. Ich klammere mich an der Bettdecke fest, meine Hände sind schweißnass, eine Stunde lang versuche ich schon einzuschlafen. Das Display meines Handys blinkt mir unbarmherzig die Zeit ins Gesicht. Ich halte es nicht mehr aus!

Strauchelnd renne ich auf den Flur, kneife die Augen zusammen, das grelle Licht blendet mich.

„Oh“, höre ich eine Schwester sagen.

Sie hört sich besorgt an.

„Ich kann immer noch nicht schlafen. Wenn ich jetzt nicht endlich schlafe, weiß ich nicht, was passiert“, stoße ich stammelnd hervor.

„Frau Dr. Schmid-Siegel!“, die Schwester ruft nach der Oberärztin, die gerade den Gang entlangläuft.

Ich schnappe Wortfetzen auf; die Schwestern unterhalten sich, irgendetwas von Schlafmangel und drohendem psychotischen Verhalten. Ich höre sie, aber verstehe nichts. Wieder zittere ich am ganzen Körper. Da ergreift eine Hand fest meinen linken Oberarm und legt den anderen Arm um meine Schultern: „Ganz ruhig, ich bringe Sie jetzt in Ihr Bett.“

Ich schluchze: „Aber ich kann doch nicht…“

„Doch, jetzt werden Sie können. Wir geben ihnen etwas, das Ihnen hilft.“

Ich schluchze noch mehr: „Aber dann muss ich endgültig abstillen. Stimmt’s?“

Rotz und Wasser laufen aus meinen Augen, meiner Nase, meinem Mund, alles ist nass und schmierig. Ich bekomme keine Luft mehr.

Ich will nicht mehr leben. Wenn ich mein Kind nicht mehr stillen kann, dann will ich nicht mehr leben! Wozu bin ich denn sonst noch gut?

Wie kann ich dich halten, wenn ich selbst zerbreche?

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